"Tu', was du kannst, und noch einen Schritt mehr"
Para-Kanut Jochen Ebner auf der Marathondistanz
„Es ist mit der Hippotherapie zu vergleichen“, erklärt Jochen Ebner, „dabei muss der Patient die Schwingungen des Pferdes auszubalancieren. In einem Kajak ist es genauso, nur dass sich dort die Wellen auf den Fahrer übertragen.“ Die Impulse wirken auf den menschlichen Körper und trainieren Gleichgewicht und Stützapparat. Im Grunde spielt es keine Rolle, ob sie von den Bewegungen eines Pferdes oder den Wellen ausgelöst werden. Unfallkliniken machen sich dieses Prinzip bei der Rehabilitation zunutze und setzten in der Physiotherapie Kajaks ein – so wie bei Jochen Ebner, der im Jahr 2001 nach einem schweren Sturz von der Leiter mit einer Querschnittslähmung eingeliefert wurde.
Dass seine Reha zum Teil im Kajak stattfinden sollte, war für ihn das sprichwörtliche Glück im Unglück. „Ich habe einige Jahre als Software-Ingenieur in Detroit gearbeitet, „dort habe ich das Paddeln gelernt. Eine gute Ausgangslage.“ Trotz seiner Erfahrung waren die ersten Versuche vor allem eines – wackelig. „Es war gruselig und ich haben mich drei Monate lang nicht vom Ufer des Ratzeburger Sees weggetraut“, schmunzelt der 62-Jährige aus Sieseby an der Schlei. Paddler ohne Handicap gleichen den Wellengang unter anderem mit den Beinen aus. Jochen Ebner musste nun lernen stattdessen mit dem Rumpf gegenzusteuern. Das ist nicht ganz einfach und braucht viel Übung. Er übte, bis es funktionierte und er sich nicht mehr nur bei Sonnenschein und Flaute auf das Wasser wagte, sondern auch bei Wind und Wetter.
Sein Radius wuchs und wurde zur Langstrecke. „Beim Bodensee-Marathon merkte ich, dass ich trotz meines Trainings nicht schneller werden würde. Ich brauchte einen Trainer“, erzählt er. Den fand er in Matthias de Vries, der im Schleswiger Kanu-Club Haithabu seit viele Jahren ehrenamtlich verschiedene Alters- und Leistungsklassen trainiert. „Jochen war an de Punkt angekommen, an dem man mit reinem Konditionstraining nicht mehr schneller wird“, erklärt Matthias de Vries, „wir mussten an der Technik arbeiten.“ Einmal in der Woche trainieren die Beiden seitdem. Matthias de Vries beobachtet, korrigiert, gibt seine Erfahrungen weiter und arbeitet Trainingsprogramme aus.
Jochen Ebner fährt ein Para-Kanu-Rennboot vom Typ Viper. Für den Laien auf den ersten Blick ein schnittiges Boot. „Aber ich benötige einen speziellen Sitz und der benötigt mehr Platz. Deshalb ist ein Para-Kanu breiter, als ein herkömmliches Boot. In Sachen Geschwindigkeit ist das ein Nachteil.“ Außerdem hat so ein Para-Kanu eine Steuerung, die über einen Seilzugsystem funktioniert. Eine Steuerung zwischen den Füßen lässt sie deutlich leichter bedienen und man muss nicht bei jedem Lenken das Paddel aus der Hand legen. Steuerung und Bootsform sind für den Schwerathleten zwar deutliche Nachteile, sie halten ihn aber nicht davon ab, Rennen mitzufahren. Wie kürzlich die 73 Kilometerlange Tour de Gudenaa durch Dänemark, eine der renommiertesten Veranstaltungen im Kanusport. Längst geht es ihm bei diesen Rennen nicht mehr um das bloße Durchhalten und Ankommen. „Ich habe Ehrgeiz entwickelt und will schneller werden. Anderen zeigen, dass ich es kann. Ich will meinen Platz im Feld finden und nicht nur im Mittelfeld mitpaddeln.“ Das bedeutet auch, dass er manchmal an der Leistungsgrenze knabbert und nach so einem Rennen kaum aus dem Boot kommt. Total verausgabt – aber glücklich. Auf der Langstrecke fährt er reguläre Rennen mit, denn im Kanusport gibt es lediglich eine Paradistanz, den 200 Meter Sprint.
Ein Sportler stellt seinen Rollstuhl am Steg ab und lässt damit auch seine Behinderung hinter sich, das ist leider nur eine Illusion von Menschen ohne Handicap. „Natürlich ist meine Behinderung auch im Kajak deutlich zu spüren“, beschreibt er, „zum Beispiel dann, wenn auf der Strecke Hindernisse, sogenannte Passagen, eingebaut sind. Dann muss ich raus aus dem Boot, das Hindernis überqueren und dahinter wieder einsteigen. Fahrer ohne Handicap kostet das etwa drei Minuten, mich eine Viertelstunde.“ In der Wertung wird das nicht berücksichtigt. Dennoch bedeuten die Rennen auch ein Stück Normalität. „Im Kajak verliere ich meinen exklusiven Status und ich genieße es, beim Massenstart in der Menge unterzutauchen, ein Stück normal zu sein. Auf der anderen Seite bin ich stolz auf die Leistungen, die ich im Rollstuhl täglich erbringe. Das kann er auch sein, denn während seine Mitstreiter lässig ihre Boote geschultert ins Wasser bekommen, ist das für ihn echte Knochenarbeit. Er transportiert sein Kajak vom Autodach bis ins Wasser, steigt allein ein und aus. Bewältigt Passagen. Nur sein Rollstuhl wird dann für ihn zu den Ausstiegspunkten gebracht. „Hilfe gibt es immer. Bei Rennen und besonders in meinem Verein. Das ist großartig“, betont er. Wenn er nicht auf dem Wasser ist, ist er mit seinem Outdoor-Rollstuhl auf Feld- und Waldwege unterwegs, begleitet von seinen drei Hunden. „Nach meinem Unfall hatte ich ein Ziel: Mobil werden. Ich wollte alles lernen“, erinnert er sich. Das hat er geschafft. Sein Sport hat ein gutes Stück dazu beigetragen. Er bietet einen Ausgleich zur täglichen, immer präsenten Symmetrie des Rollstuhls, die ihn zu starren Bewegungsabläufen zwingt. Im Kajak ist alles in Bewegung und die diagonale Streckung beim Paddeln ist dazu der perfekte Ausgleich. „Das ist kaum zu schlagen. Etwas Besseres für das Training von Gleichgewicht und Stabilisierung der stützenden Muskulatur gibt es kaum.“
An Technik und Kondition will Jochen Ebner weiterarbeiten. Schritt für Schritt, oder besser Kilometer für Kilometer. Sein Ziel, besser und schneller zu werden, hat er dabei immer im Auge. „Ich habe den Anspruch die Landesmeisterschaften mitzufahren“, verrät er.
Dass er auch dieses Ziel erreicht, scheint bei diesem Antrieb und dieser Motivation durchaus realistisch zu sein.